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Wie erleben Power-Nutzer die Veränderung nach einem Jahr Twitter mit Musk? Eine Analyse von Daten


Vor einem Jahr hat Elon Musk Twitter gekauft. Die Demokratie ist nicht untergegangen, aber die Plattform ist langweiliger geworden

VIDEO: MUSK SOLL STEUERN ZAHLEN: Tesla-Boss lässt sich von Twitter-Nutzern zu Aktienverkauf verpflichten
WELT Nachrichtensender

Stimmt es, dass Twitter immer unattraktiver wird? Die Journalistin Marguerite Meyer, der Comedian Patrick Karpiczenko, die Virologin Emma Hodcroft und der Politiker Andri Silberschmidt haben uns Einblick in ihre Daten gegeben.

Am 27. Oktober 2022 schloss Elon Musk seinen Twitter-Kauf ab und begann, die Plattform nach seinem Geschmack zu verändern: Er sprach davon, Twitter wirtschaftlich erfolgreich machen zu wollen, entliess 80 Prozent der Angestellten und liess gesperrte Nutzer im Namen der Redefreiheit wieder auf die Plattform.

Ein Jahr ist das her. Damals befürchteten einige Journalisten, mit dem Verlust von Twitter würde ein Stück Demokratie untergehen. Was an der Plattform Twitter ist es, das sie so wertvoll in den Augen vieler Nutzer macht? Was hat sich, abgesehen von der Umbenennung in «X», in den letzten zwölf Monaten verändert? Und wird die Plattform weiterbestehen?

Das haben wir vier eifrige Twitterer gefragt. Und wir haben ihre Daten ausgewertet, um ein Profil ihrer Nutzung zu zeichnen und zu prüfen, ob ihr subjektiver Eindruck sich auch objektiv messen lässt.

Inhaltsverzeichnis

VIDEO: NEUER MUSK-MURKS? Twitter - Tageslimits für das Lesen von Tweets verhängt
WELT Nachrichtensender

    KarpiZeichenflache-34@4x-498eacafc46640988c00cf0c4f4f9a36
    @karpi

    «Meine Twitter-Geschichte ist eine Geschichte von zunehmender Abhängigkeit», sagt Patrick Karpiczenko, bekannter unter seinem Künstlernamen Karpi.

    Twitter gibt es seit 2006, er trat 2007 bei. Anfangs, um seinen Lieblingskünstlern zu folgen: Comedians aus den USA, die auf Twitter ihre Scherze posteten. Und auch er komponierte Witze auf 140 Zeichen. Die Plattform sei bestens für Pointen geeignet.

    Ich versteh so wenig von Fussball, ich seh hier nur Barpianist und Sängerin.#GERFRA pic.twitter.com/PntvSpn30K

    — Karpi (@karpi) June 15, 2021

    Heute sagt er: «Den Grossteil meines jetzigen Freundeskreises habe ich über Social Media kennengelernt, vor allem Twitter.» Was ist in den 15 Jahren geschehen?

    Anders als Facebook oder Linkedin war Twitter nie dazu gedacht, Bekanntschaften der echten Welt abzubilden. Man kann auch berühmten Menschen folgen und ihre Beiträge kommentieren.

    Karpi reagiert auf Pointen der anderen, dreht sie weiter. «So schaukelt man sich gegenseitig hoch, und irgendwann denkt man: ‹Hey, ich glaub, wir ticken ähnlich›, und geht mal auf ein Bier.»

    Seine intensivste Twitter-Phase begann im Sommer 2020, als seine Tochter auf die Welt kam.

    Tweets* pro Tag von Patrick Karpiczenko

    «Die Mischung aus Schlafentzug, hohem Sendebedürfnis und dem Fakt, dass ich meistens nicht mehr als einen Arm frei hatte, hat dazu geführt, dass ich seither unvernünftig viel Zeit auf Twitter verbringe.»

    Das sieht man seinem Nutzungsprofil an. Ab 2020 twittert er bis in die frühen Morgenstunden.

    uhrzeitKarpi-d@4x-64c68b1cb3fff0482d5202403efbceeb

    Beruflich habe er sicher von Twitter profitiert, sagt Karpi. Aus seinen Kontakten dort ergaben sich Engagements – und Vorteile im Alltag. Sein Apotheker zählt zu seinen mehr als 22 000 Followern. «Er verkauft mir einfach so verschreibungspflichtige Medikamente, weil er mich auf Twitter lustig findet.»

    Karpis 5 häufigste Hashtags

    MeyerZeichenflache-34@4x-3d823a01375c2c2d6050f22f03de464e
    @marguerite_jay

    Die Journalistin Marguerite Meyer ist «schon ewig» auf Twitter, wie sie sagt. Seit 2011. Kurz vorher hatten die Ereignisse begonnen, die Twitter auf der Weltbühne bekannt machten: der sogenannte Arabische Frühling.

    Die Bürgerproteste in Ägypten und Tunesien nannte man damals auch «Twitter-Revolutionen». Plötzlich war die Macht der Onlineplattformen für die analoge Welt klar spürbar. Auf Twitter koordinierten sich die Demonstranten – und sie erreichten die Weltöffentlichkeit direkt mit ihren Bildern und Live-Berichten vom Geschehen.

    Meyers 5 häufigste Hashtags

    Meyer las über die folgenden Jahre fasziniert mit: «Ich verfolgte, was Expertinnen und Experten schrieben, konnte unzensiert lesen, was die Oppositionellen in diesen Ländern posteten.» Auch für ihren damaligen Job in einem Newsroom war das hilfreich, um auf dem neuesten Stand zu bleiben, aber auch, um mögliche Quellen zu entdecken.

    Meyers Tweets über die Zeit

    VIDEO: Musk übernimmt Twitter: Weniger Regeln, mehr Hass? | ZDFheute live
    ZDFheute Nachrichten

    Tweets* pro Tag von Marguerite Meyer

    Der Arabische Frühling war das erste grosse Ereignis von vielen, die Meyer auf Twitter verfolgte: «Das Besondere waren diese Diskussionen auf ziemlich hohem Niveau, von Expertinnen, zivilgesellschaftlichen Akteuren, generell von spannenden Menschen, die nicht geografisch in der Nähe waren.»

    Das andere, was sie an der Plattform mochte, waren der Humor, die Witze und Wortspiele. «Da hab ich auch gerne mitgemacht.»

    Hin und wieder habe sie eigene Anekdoten geteilt, die sie witzig fand. Sie nutzte Twitter aber auch, um ihre eigene Arbeit bekanntzumachen. Sie teilte eigene Artikel und fremde, die sie spannend fand, mit ihren mehr als 4000 Followern. Und sie mischte sich aktiv in Diskussionen ein.

    THREAD:
    Switzerland is a strange country. On the surface it is a polished Disneyland. “Swissneyland”, a friend of mine likes to call it. At a closer look, it is the well-oiled PR machine of a corporation. This is a thread between a rant & trying to grasp the #CreditSuisse issue.

    — Marguerite Meyer (@marguerite_jay) March 20, 2023

    Sie erzählt das alles in der Vergangenheit, denn ihrer Ansicht nach hat sich Twitter schon vor, aber vor allem nach dem Kauf durch Musk stark verändert. Heute ist sie sehr viel weniger aktiv auf der Plattform als noch vor einem Jahr.

    MeyerZeichenflache-48@4x-f6dd0449b3e2d0f7820f4382dfd9c781

    «Der letzte Moment, wo es so war wie früher, war die Corona-Pandemie. Aber auch da begann es schon zu kippen», sagt Meyer im Interview. Eine der Expertinnen, bei denen sie schon früh mitlas, war Emma Hodcroft.


    HodcroftZeichenflache-34@4x-34c10a581c2b259559189722d40e99fe
    @firefoxx66

    «Ich bin neugierig und spiele gerne mit neuen Computerprogrammen und IT-Entwicklungen herum», sagt die britisch-amerikanische Biologin und Expertin für Erbgutanalysen Emma Hodcroft. So wurde sie 2009 auf Twitter aufmerksam, «es erschien mir als der neue coole Ort, sich aufzuhalten».

    Aber erst 2018 wurde sie eine regelmässige Nutzerin von Twitter: Sie stand am Beginn ihrer Wissenschaftskarriere und war gerade an das Biozentrum in Basel gekommen. «In Grossbritannien kämpften Forscher für bessere Renten. Ich wollte informiert bleiben und zugleich meine Unterstützung zeigen», erzählt sie. «Nun war ich fast täglich auf Twitter aktiv: lesen, hin und her klicken, selber posten.»

    Und das sei keineswegs oberflächlich gewesen: «Ich habe gemerkt: Hey, das ist ja ein richtiger Marktplatz für wissenschaftliche Informationen geworden. Es gab so coole fachliche Debatten, eine globale Beteiligung und alles frei von Hierarchien.» Hodcroft begann, regelmässig über ihre eigene Arbeit zu posten und sich mit anderen über deren Ergebnisse auszutauschen.

    Tweets* pro Tag von Emma Hodcroft

    So entstanden Kontakte zu Forscherinnen und Forschern aus aller Welt. Sie begannen virtuell und wurden auf Konferenzen persönlich. «Ich fand es viel einfacher, Wissenschafterinnen und Wissenschafter anzusprechen, die ich noch nie getroffen hatte, mit denen ich aber schon auf Twitter über ihre Veröffentlichungen diskutiert hatte.»

    Noch verfolgte Emma Hodcroft mit ihren Twitter-Posts keine echte Strategie. Mit der Corona-Pandemie änderte sich das radikal. Man könnte sagen, aus Spass und Freude wurde Ernst. «Viele Leute aus meinem persönlichen Umfeld hatten Anfang 2020 plötzlich ganz viele Fragen zum Coronavirus, zu seiner Gefährlichkeit und seiner Verbreitung oder wie man sich schützen könne», berichtet sie. Ihre lebhafte Stimme wird eindringlich. «Ich wollte aufklären, erklären.»

    Am 29. Februar 2020, ganz zu Beginn der Pandemie, erklärt sie, welches Verhalten in der beginnenden Pandemie hilfreich sein könnte. 3736 Personen liken den Beitrag.

    "If the virus is everywhere, what's the point of preparedness?"

    On neither why continuing about your day as usual OR buying every can in the shop are helpful responses to #COVID19 #SARSCoV2 #Coronavirus #SARSCoV19 :
    (1/n)

    — Dr Emma Hodcroft (@firefoxx66) February 29, 2020

    «Es wurde eine verrückte Zeit. Ich erforschte die Stammbäume der diversen Corona-Varianten erst in Basel, später dann am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern.» Manchmal verbrachte sie mehrere Stunden am Tag damit, Tweets inklusive Infografiken zu erstellen, die für Laien das Geschehen erklärten.

    uhrzeitHodcroft-d@4x-f6a0d0147c7730d215d094572c37a406

    Sie musste erst lernen, so zu formulieren, dass die Leute es verstanden. «Vorher hatte ich mit Fachkolleginnen und Experten mit Fachausdrücken und Spezialjargon kommuniziert. Jetzt musste ich meine Botschaften ganz anders verpacken.»

    Is the new UK variant the same as the new South African variant (501Y.V2)?

    No.

    They both share the same mutation in spike: N501Y (N->Y at position 501). However, the 2 variants have arisen separately.

    1/Nhttps://t.co/m4sx1YN7dO pic.twitter.com/N1Zmyso4mh

    — Dr Emma Hodcroft (@firefoxx66) December 19, 2020

    Ihre Arbeit zahlte sich aus. Nicht nur in der Schweiz wurde sie bekannt als Emma, die Virenjägerin, so nannte sie sich in ihrer Account-Beschreibung. Auch Medien fragten sie bald an, und sie trat im Fernsehen auf. Heute hat sie mehr als 80 000 Follower.

    «Die Pandemie hat mich auf die Bühne ins Scheinwerferlicht katapultiert. Das war schon auch ein grosser Druck», sagt sie. «Aber ich hatte Glück, ich habe vorwiegend positive Rückmeldungen bekommen. Hass-Postings oder Häme bekam ich selten ab.»

    Emma Hodcroft erklärt sich das dadurch, dass sie Massnahmen wie Maskentragen, Abstandhalten und anderes zwar unterstützte und auch Posts dazu erstellte. Politisch aktiv war sie aber nicht, und sie wurde auch mit keiner der Massnahmen gegen Corona direkt in Verbindung gebracht.

    Die Pandemie habe die Diskussionen auf Twitter verändert, so Hodcroft überzeugt. In der Zeit engagierten sich dort zahlreiche Wissenschafterinnen und Wissenschafter, stellten ihre Ergebnisse frisch aus dem Labor vor, um möglichst schnell viel herauszufinden. Gerade in einer aufgeheizten Situation wie einer Pandemie sei es aber auch heikel, unfertige Daten zu veröffentlichen, sagt Hodcroft. Und insgesamt sei der Ton in Debatten über Wissenschaft durch die Beteiligung von Laien härter und aggressiver geworden.

    Hodcrofts 5 häufigste Hashtags


    SilberschmidtZeichenflache-34@4x-1b38da9d3ad487de60d5ab1d091677fa
    @andrisilber

    Wer den Twitter-Posts des FDP-Politikers Andri Silberschmidt entlangscrollt, der sieht vor allem: sein Gesicht. Als Politiker ist man darauf angewiesen, dass die Leute einen kennen. Und dafür nutzt Silberschmidt das Medium.

    Wenn er Wählerinnen und Wähler erreichen wolle, gehe er auf die Strasse, auf Linkedin oder Instagram. «Twitter funktioniert eher wie ein Medienverteiler», sagt er. «Dort kann ich Themen setzen.» Wenn er ein Statement publiziert, dann sehen es alle relevanten Politikjournalisten – und tragen es vielleicht weiter an die Öffentlichkeit.

    Silberschmidts beliebteste Hashtags drehen sich stark um die AHV-Reform. Am meisten Aufmerksamkeit bringt Twitter aber, wenn es emotional wird. So ist Silberschmidts zweiterfolgreichster Tweet eine persönlich formulierte Kritik an der Flüchtlingspolitik der SVP.

    Am gestrigen Tag der Teilmobilmachung von Russland im Krieg gegen die Ukraine forderte die SVP im Nationalrat, dass Menschen aus der Ukraine, die nicht aus dem Osten der Ukraine kommen, keinen Schutzstatus S mehr erhalten können. Da fehlen mir die (twitter-tauglichen) Worte.

    — Andri Silberschmidt (@andrisilber) September 22, 2022

    Das Zusammenspiel von Politikern und Medien machte Twitter zu einer besonders einflussreichen Plattform. Das beste Beispiel ist Donald Trump. Er nutzte die Plattform gezielt für provokante Statements. Ob empört oder begeistert, Journalisten nahmen sie auf und zitierten sie in ihren Artikeln. So wurde Twitter als Plattform in manchen Branchen fast unentbehrlich.

    Silberschmidt verzichtet darauf, durch kontroverse Twitter-Nutzung Aufmerksamkeit zu erregen. «Ich setze auf Qualität vor Quantität. Wenn einer zu viel postet, denken sich die Leute ja auch: Was macht der denn eigentlich den ganzen Tag?»

    Im Jahr 2018 hat er alle alten Tweets gelöscht, wohl, um in seiner Politikerkarriere nicht später von unbedachten Aussagen aus der Jugend heimgesucht zu werden. Erstmals angemeldet hatte er sich 2011. Von den hier beschriebenen Nutzern postete er am wenigsten.

    Tweets* pro Tag von Andri Silberschmidt

    Aktiv ist er vor allem während Bürozeiten. Ausser im Jahr 2019: Der Wahlkampf und der gelungene Einzug ins Parlament sind gut in der Grafik sichtbar.

    uhrzeitSilberschmidt-d@4x-5106a41be89846113a61e5f1a5f002cb

    So ist sein erfolgreichster Tweet auch jener, der seinen Wahlsieg feiert.

    Wow! Was für ein Wahlkrimi. Jetzt steht es fest: Die Wahl ist geschafft! #zämemitDir ist der Sprung nach Bern gelungen und ich kann im Dezember an der ersten Session der 51. Legislaturperiode teilnehmen. Tausend Dank für die 60’538 Stimmen! 🙏🏻💙 DANKE AN ALLE!! pic.twitter.com/55HnksGmPi

    — Andri Silberschmidt (@andrisilber) October 20, 2019

    Auch wenn er selbst wenig postet, Silberschmidt verbringt gerne Zeit bei Twitter und liest, was die anderen so machen. So gerne, dass er die App aus Selbstschutz gelöscht hat und die Seite nur noch über den Browser aufruft. «Es war ein Automatismus geworden, drauf zu schauen.»

    Eine emotionale Bindung zu Twitter hat er aber nicht. So sieht er auch entspannt, dass Elon Musk es übernommen und verändert hat. «Er ist ein Unternehmer und will die Plattform wirtschaftlich nachhaltig machen. Das finde ich sinnvoll.»

    Silberschmidts 5 häufigste Hashtags

    Elon Musk wollte Twitter nach seinem Kauf besser machen: relevantere Inhalte, weniger Bots, mehr Meinungsfreiheit. Langfristig soll Twitter, also X, laut Musk wie das chinesische WeChat verschiedenste digitale Dienste anbieten. Zuerst sparte er aber an den Personalkosten und wollte zugleich Nutzer dazu bewegen, für Twitter zu bezahlen.

    Früher prüfte Twitter Konten bekannter Persönlichkeiten und versah sie mit einem Häkchen, als Qualitätskontrolle. Diese Häkchen verkauft Musk nun stattdessen. Und zahlende Nutzer bekommen mehr Reichweite.

    Damit zog eine neue Logik in Twitter ein. Während vorher der Algorithmus allein auf möglichst süchtig machenden Konsum optimiert war, wird den Nutzern nun vermehrt das serviert, was zahlende Produzenten teilen. Doch deren Inhalte sind nicht automatisch gut oder relevant.

    Das Gefühl vieler Nutzer ist, dass die Plattform durch den Fokus auf zahlende Nutzer weniger attraktiv wurde. Zu einem Teil wird das auch damit zu tun haben, dass Musks eigene Aussagen dem eher progressiv-liberalen Ton auf der Plattform widersprechen. Für wissenschaftliche Studien zu dem Thema ist es einerseits zu früh. Es wurde aber auch schwieriger, Twitter zu untersuchen. Forscherzugänge zu den Daten lässt sich das Unternehmen inzwischen teuer bezahlen.

    Der Eindruck der hier Befragten, und auch ihre Nutzungs-Daten, weisen aber darauf hin, dass Twitter seine Power-Nutzer weniger fesselt als früher.

    Marguerite Meyer ärgert sich vor allem darüber, dass sie weniger von den Expertendialogen sieht, die sie an der Plattform so interessiert hatten. «Die Timeline ist unübersichtlicher und willkürlich geworden, geflutet von Troll-Profilen.»

    Diese verbreiteten Hassbotschaften und Desinformation, aber nicht nur: «Mir folgen zum Beispiel pornografische Accounts, die meine Artikel retweeten. Ich versuch immer noch, die jeweils als Spam zu melden bevor ich sie blockiere, aber ich weiss nicht, ob es bei Twitter noch Leute gibt, die sich darum kümmern.»

    Die Grafiken in diesem Abschnitt vergleichen jeweils die zwei Jahre vor Musks Kauf und das Jahr seither.

    Meyer ist weniger aktiv als früher, das zeigen die Daten klar. Wenn sie tweetet, erhält sie aber mehr Interaktionen als vor der Musk-Ära.

    VeranderungMeyer-fw@4x-5c8560dcbb232aa3e035d7bf02bc870f

    Patrick Karpiczenko sagt, der Algorithmus schlage ihm inzwischen viel Spam und hasserfüllte Inhalte vor. Zugleich übersehe er Beiträge, die ihn interessiert hätten. «Eigentlich das Gegenteil von dem, was Musk versprochen hatte.» Auch die Daten zeigen: Er postet weniger in den zwei Jahren vor Musks Kauf. Und tendenziell bekommt er weniger Resonanz.

    VeranderungKarpi-fw@4x-87afea60650baa352cbcf55291931f47

    Allerdings nur, wenn man von einem statistischen Ausreisser absieht. Denn der allererfolgreichste Tweet seiner Karriere, ein gruseliger KI-generierter Trailer für Heidi, stammt vom Juli. Etwa 19 Millionen Menschen haben diesen Beitrag auf Twitter gesehen.

    I've asked an AI to generate a trailer for a HEIDI movie and now I can never sleep again pic.twitter.com/8M9t726hrI

    — Karpi (@karpi) July 10, 2023

    Emma Hodcroft kennt die Klagen über fragwürdige Werbe-Accounts und Hass von ihren Kollegen aus der Wissenschaft: «Viele haben die Plattform genervt verlassen, finden sie unbrauchbar wegen all des Spam.» Für sie selbst sei Twitter einfach langweiliger geworden. Deshalb verbringe sie weniger Zeit dort. «Früher hatte ich das Gefühl, sehr viel zurückzubekommen. Ich scrollte durch Twitter und fand eine Menge Wissenschaft und Unterhaltung.» Das sei jetzt weg – wie auch das Gemeinschaftsgefühl unter Wissenschaftern.

    Sie selbst postet weiterhin ihre wichtigste Forschung auf Twitter, damit Interessierte finden, was sie brauchen. Sie ist aber viel weniger aktiv, was natürlich auch mit dem Auslaufen der Pandemie zu tun hat.

    VeranderungHodcroft-fw@4x-d99571abb516a1867847c9a042cf3daa

    Auch Andri Silberschmidt erlebt, dass sich die Plattform verändert hat. «Mir werden mehr Inhalte von Leuten angezeigt, denen ich nicht folge, aber von denen der Algorithmus denkt, dass sie mich interessieren. Zum Beispiel folge ich dem FC Bayern. Inzwischen bekomme ich aber nicht nur Spielgeschehen, sondern jedes Gerücht um Personen in dem Verein angezeigt.» Stören tut ihn das aber nicht.

    Als Politiker konnte er sein Konto übrigens kostenlos verifizieren lassen. Als Einziger der vier hat er auch unter dem neuen Regime ein Häkchen, das bestätigt, dass sein Account echt ist. Aktivität und Erfolg auf der Plattform sind bei ihm relativ stabil.

    VeranderungSilberschmidt-fw@4x-5b5b1094fe18efcddbc0b3ee23afdd4d

    Bluesky, Mastodon, Threads: Apps, die ähnlich aussehen und funktionieren wie Twitter, gibt es zuhauf. Aber wollen die Nutzer tatsächlich wechseln?

    Silberschmidt glaubt nicht, dass Twitter von einer seiner Kopien ersetzt wird. Deshalb hat er dort auch kein neues Konto eröffnet. Aber er arbeitet schon länger an einer eigenen Strategie, um unabhängiger von Algorithmen zu werden: «Ich habe eine Datenbank mit mehreren tausend E-Mail-Adressen, die mir Leute freiwillig gegeben haben. Dort kann ich sie direkt erreichen. So bin ich der Gatekeeper, nicht mehr der Algorithmus.»

    Marguerite Meyer sagt: «Es haben schon einige sehr aktive Nutzer Twitter ganz verlassen. Mir fehlt aber noch die gute Alternative.» Sie eröffnete ein Konto auf der Plattform Mastodon, «als das alle taten», nutzte es aber danach nie mehr. Stattdessen verbringt sie etwas mehr Zeit auf Linkedin und Instagram, die aber die schnelle Dialog-Dynamik von Twitter nicht ersetzen könnten. Nun hat sie vor, Bluesky auszuprobieren, jene Alternative, hinter der der Twitter-Gründer Jack Dorsey steckt.

    Emma Hodcroft ist seit Frühling auf der Plattform Mastodon aktiv. Sie hat nicht nur ein Konto dort, sondern unterstützt die dezentral organisierte Plattform auch durch Spenden und freiwillige Arbeit als Administratorin. Es sei dort inzwischen so wie früher auf Twitter, sagt sie: «freundlicher, mehr Wissenschafts-orientiert und weniger geschwemmt von irrelevanten Inhalten.» Auch auf Bluesky hat sie ein Konto, aber ihr fehlt die Zeit, auch dort noch aktiv zu sein: «Drei Plattformen zu jonglieren, die im Grund dasselbe wollen, das ist einfach zu viel.»

    Karpi erwartet, dass Twitter immer unattraktiver wird und somit an Relevanz verliert. Die Community sei wie eine Herde, die ein neues Wasserloch suche, aber sich noch nicht entschieden habe, wo sie sich wieder sammeln wolle. Er selbst ist auf allen Alternativen aktiv. Seinen Twitter-Account löschen will er aber nicht. «Ich will ja dabei sein, wenn es endet.»

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    Author: Zachary Johnson

    Last Updated: 1702478522

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